» Der Atem der Hölle | von Ralf Schenk
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An den Beginn seines ersten langen Spielfilms "Verhängnis" (1994) setzte Fred Kelemen ein Zitat des XIV. Dalai Lama: "Die Entfernung zwischen unserem jetzigen Leben und einem Höllendasein kann natürlich so kurz sein wie ein einziger Atemzug". Nimmt man alle drei Arbeiten, die der Regisseur bis heute drehte, zusammen, scheint sich das als sein Leitmotiv verfestigt zu haben - zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen finden sich in Kelemens düsteren Tragödien aber auch Lichtpunkte: Die Schlechtigkeit der Welt wird zumindest dadurch ein wenig relativiert, dass in einzelnen Figuren eine Ahnung von Zärtlichkeit und Liebe aufglimmt. Verschüttet zwar, verdrängt, aber durchaus spürbar.
Kelemens Filme, die das Babylon in den nächsten Tagen zeigt, bewegen sich abseits jeglicher Kommerzialität: Die Sequenzen sind oft quälend lang, auf grobkörnigem Material gedreht; ihre Nähe zu den ebenso kontemplativen wie suggestiven Weltentwürfen von Andrej Tarkowskij oder Béla Tarr ist unverkennbar. Einmal hat Kelemen für Tarr, bei dem er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Seminare belegte, auch einen dokumentarischen Essay fotografiert: "Reise in die Tiefebene" (1995), eine Hommage an den Dichter Sandor Petöfi: Seelenverwandte allesamt. Im übrigen merkt man den Filmen an, dass ihr Autor auch Malerei, Musik, Philosophie und Religionswissenschaft studiert hat.
Zu Kelemens Helden gehören ein russischer Akkordeonspieler und seine betrunkene, halbnackt durchs nächtliche Berlin taumelnde Frau ("Verhängnis"), eine junge Mutter und ihr siebenjähriger Sohn auf der Flucht vor dem versoffenen Vater ("Frost", 1997) oder ein Arbeitsloser und eine Büglerin, deren Ehe in die Krise geraten ist ("Abendland", 1999). Häufig war in Rezensionen von "Menschen am Rande der Gesellschaft" die Rede. Je älter die Filme werden, um so mehr hat es allerdings den Anschein, als seien sie Vorboten einer allgemeinen Verelendung: Die "Ränder" erreichen zunehmend die Mitte.
"Bleiben Sie auch in Zukunft auf der Nachtseite des Lebens?", wurde der 1964 geborene Regisseur vor fünf Jahren gefragt. Er gab darauf zur Antwort: "Nein, jeder Film entspricht ja einer Phase im Leben, und ich denke, dass bestimmte Dinge irgendwann gesagt sind." - So sicher kann man da nicht sein. Würde Kelemen wieder Geld für einen Film zusammenbekommen, was in Deutschland für seine Art Kino äußerst schwer ist, dann sähe vermutlich auch das neue Werk nicht anders aus als die (zumindest international) viel beachteten "Klassiker".

Ralf Schenk, Berliner Zeitung, 22.Januar 2004

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