» Fred Kelemen – eine Werkschau in Potsdam und Berlin
Träume und Visionen
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Das Filmmuseum Potsdam zeigt ab heute bis zum Sonnabend die Filme von
Fred Kelemen: „Verhängnis“, „Frost“, „Abendland“
und „Glut“. Ab 25. 3. bis zum 30. 3. präsentiert das
Berliner Kino Arsenal am Potsdamer Platz ebenfalls die Arbeiten dieses
außergewöhnlichen Regisseurs. Ein bemerkenswertes Ereignis,
das es ermöglicht, seine Filme im Zusammenhang wahrnehmen zu können.
Fred Kelemen (geb. 1964) ist eine singuläre Figur der deutschen und
europäischen Filmszene. Seit den neunziger Jahren hat er eine sehr
persönliche, avancierte filmische Handschrift entwickelt und sich
dadurch Ansehen erworben. Seine Filme haben freilich auch Widerspruch
gefunden und Irritationen erweckt.
Fred Kelemen, Verfechter einer radikalen filmischen Erzählweise,
hat sich bis jetzt jeglichem Kompromiß verweigert und an seiner
eigenwilligen Bildsprache und Personenwelt konsequent festgehalten. Seine
bisherigen Filme – im wesentlichen sind es vier Spielfilme, VERHÄNGNIS
(1994), FROST (1997/1998), ABENDLAND (1999) und KRIŠANA/GLUT (2005)
– bilden ein geschlossenes Ganzes. Sie erzählen nicht so sehr
Geschichten, sondern beschreiben Situationen, Gefühle, Stimmungen,
und sie tun dies mit einem Repertoire expressiver Bilder, mit filmischen
Mitteln wie langdauernden Kamerafahrten, Bild- und Lichtmalerei sowie
einem raffinierten optisch-akustischen Kontrapunkt. Sie sind in gewissem
Sinn Beschwörungen oder Visionen. Sie entführen den Zuschauer
in eine andere Welt oder öffnen ihm den Blick in das eigene Innere.
Sie laden zur Meditation ein. Sie praktizieren eine Form der Wirklichkeitsdarstellung,
die den Blick öffnet für Nuancen und Zwischentöne. Damit
liegen sie weitab von den Hauptströmungen des heutigen Kinos und
seinen Mechanismen der Verwertung und der Rentabilität.
Bewundernswert an Kelemen ist aber nicht nur die ästhetische Einheitlichkeit
seiner Filme, sondern auch die Entschiedenheit, mit der er seine filmkünstlerischen
Positionen verteidigt. Er bekennt sich zu einer Kinematographie, die dem
Zuschauer scheinbar Barrieren in den Weg legt, aber für den, der
sich auf diese Filme einläßt, einzigartige Erlebnisse bereit
hält. Kelemen-Filme gleichen phantastischen und beklemmenden Träumen,
die aus der Wirklichkeit hervorgehen, ins Irreale abschweifen, aber letztlich
wieder zur Realität zurückführen.
Denn die Kelemen-Filme, obgleich sie immer wieder Themen wie Einsamkeit,
Isolation, Ausgebeutetsein und Verzweiflung artikulieren, nehmen ihren
Ausgang in einer konkreten Situation, die manchmal sogar dokumentarisch
beobachtet wird. Sie spielen in Kneipen-Interieurs, häufiger noch
auf Strassen, Plätzen und Feldern, wobei die Architektur oder die
Dimensionen der Landschaft eine Rolle spielen. Aber durch Kelemens Regie
und Kameraführung, durch seinen Gebrauch von Licht und Farben und
filmischer Zeit werden diese Situationen verdichtet, transzendiert, so
dass sie zu filmischen Gleichnissen, zu Metaphern werden. Von seinen Bildern
geht eine Faszinationskraft aus, die einen nicht mehr loslässt. Gleichzeitig
entwickelt sich ein Mitgefühl für die handelnden Personen, das
weit mehr ist als sentimentales Mitleid. Josef Lederle drückte es
so aus : "Die Größe seiner (Kelemens) Filme liegt nicht
in referierbaren Inhalten, sondern in der abgründigen Erfahrung von
Kino als einer Sphäre ästhetisch-existentieller Unmittelbarkeit,
die sich erst in einem zweiten Schritt in die Welt der Diskurse überführen
lässt".
Aufmerksamkeit erregte zuerst Kelemens Film VERHÄNGNIS, der 1994
und 1995 auf Festivals lief und 1996 im Fernsehen gesendet wurde (WDR
III). Zwei heimatlose Menschen, ein Straßenmusikant und eine Frau,
erleben einen nächtlichen Alptraum. Der Film faszinierte durch seine
extrem lang ausgedehnten Szenen und seine genaue Integration von Realismus
der Strasse und Gestaltung von Innenräumen. Es wird einem "das
unverrückbare Tempo der Echtzeit aufgezwungen". Der Film wurde
von der Kritik sehr positiv aufgenommen: "VERHÄNGNIS nimmt sich
im zeitgenössischen deutschen Film zwischen Komödien und Genre-Parodien
wie ein unheimlicher schwarzer erratischer Felsen aus" (Thomas Koebner,
Film-Dienst). Produziert wurde der Film von der Deutschen Film- und Fernsehakademie
als Fred Kelemens Abschlußarbeit, der dort seit 1989 studierte.
Er erhielt einen Bundesfilmpreis.
Ebenso faszinierend ist FROST (1997/1998). Dieser Film hatte eine besonders
schwierige Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Er erzählt von
der endlosen Wanderung einer Frau und ihres siebenjährigen Sohnes
durch vereiste Landschaften, auf der Suche nach einem Fluchtort oder Ruhepunkt.
Die beiden fliehen vor der Gewalt eines betrunkenen Vaters. Auf ihrer
Reise begegnen sie anderen Heimatlosen und Ausgestoßenen.
FROST ist von einer einzigartigen künstlerischen Faszinationskraft
und gleichzeitig durch seine Länge (200 Minuten) eine Herausforderung
für den Zuschauer. Der Film wurde mit geringen Mitteln im Auftrag
des ZDF ("Das kleine Fernsehspiel") als sogenannter "Kamerafilm"
produziert, aber nach seiner Uraufführung auf dem Internationalen
Forum des Jungen Films der Berlinale im Februar 97 zunächst durch
einen Konflikt zwischen dem Regisseur und dem Produzenten sowie dann durch
ein Problem ungeklärter Musikrechte im Verleih behindert. Im Fernsehen
wurde er zu nächtlicher Stunde einmal ausgestrahlt (am 27. Dezember
1999). Bis heute kann FROST aber nur im Rahmen von Retrospektiven oder
Festivals gezeigt werden. Fertiggestellt wurde der Film erst im letzten
Moment, die Rollen kamen zur Festival-Aufführung mit Eiltransporten
aus dem Kopierwerk. Gleichwohl zeigten sich alle. die den Film gesehen
hatten, tief beeindruckt.
ABENDLAND (1999) entstand als deutsch/portugiesische Koproduktion. Obwohl
der Film in einer deutschen Stadt nahe der polnischen Grenze spielen soll,
wirkt er in seiner Atmosphäre sehr portugiesisch. Auch hier erlebt
man zwei Ausgestoßene (eine Büglerin und einen Arbeitslosen)
auf einer endlosen nächtlichen Reise durch apokalyptische Szenerien
und Landschaften. Auch hier kreuzen sich verschiedene Schicksale von Menschen,
zwischendurch klingt auch das Motiv der Hoffnung auf Erlösung oder
der Willen zum Widerstand gegen eine schreckliche Realität an. In
diesem Film wurde besonders die Verwandtschaft zwischen Kelemen und Andrej
Tarkowskij deutlich. Diese Beziehungen sind wie geheime, unterirdische
Verbindungen, die der Zuschauer entdecken mag oder nicht. Letztendlich
ist Kelemen vielleicht auf einem ähnlichen Weg wie der große
russische Regisseur – im Leiden seiner Protagonisten und in ihrem
Scheitern sucht er nach einer paradoxen Erlösung.
GLUT (KRIŠANA) (2005) ist eine deutsch-lettische Koproduktion. Bezeichnend
für unsere Verhältnisse und eigentlich revoltierend, dass Kelemen
für seinen neuen Film in Deutschland keine Unterstützung fand,
sondern ihn nur in Lettland realisieren konnte. Der Film erzählt
die Geschichte eines Selbstmords und einer, wie es erscheint, unterlassenen
Hilfeleistung, die aber auf überraschende Weise eine Auflösung
erfährt. Gleichwohl ist der in schwarzweiss gedrehte Film wieder
ein echter Kelemen mit langen Kamerafahrten, dem Gefühl für
Realzeit, der Transzendierung des Alltäglichen ins Gleichnishafte
und der Seelenanalyse verschiedener Protagonisten. Die Kameraarbeit ist
großartig, die Tongestaltung gibt dem Film eine eigene Dimension.
Der Film wird von dem Gefühl einer immer anwachsenden Spannung vorwärtsgetrieben
und liefert gleichzeitig das faszinierende Porträt einer Stadt (Riga)
in wenig bekannten Ansichten.
Auf einen Aspekt des kelemenschen Werkes muss man noch zu sprechen kommen:
es gibt nicht nur eine Verwandtschaft mit Tarkowskij, sondern auch eine
solche mit dem ungarischen Regisseur Bela Tarr. Kelemen hat im Workshop
Bela Tarrs an der DFFB gearbeitet, er arbeitet auch als Tarrs Kameramann
in dessen letztem Film THE MAN FROM LONDON. In der filmischen Handschrift,
in der Auswahl von Gesichtern, in der Vorliebe für Landschaften und
im Gebrauch der Kamera gibt es deutliche Parallelen zwischen den beiden
Regisseuren – beide fühlen sich einem Stil der modernen Kinematographie
verpflichtet, dem es weniger auf die Entfaltung von Handlung ankommt als
vielmehr auf die Ausdeutung von Bildern. Vielleicht können sich diese
Wege auch wieder voneinander trennen. Einstweilen sollte man froh sein,
dass sich das Werk dieser beiden Filmemacher gegenseitig erhellt und unterstützt;
denn so wird die Hoffnung auf das Fortbestehen eines Kinos am Leben gehalten,
das sich nicht dem stromlinienförmigen Erzählen, der Unterhaltung
und dem Markterfolgt verschreibt, sondern die Seele des Menschen in ihrer
Abhängigkeit von Umständen der Welt erforscht und sich dabei
einer künstlerisch verdichteten Filmsprache bedient.
Ulrich Gregor, NEUES DEUTSCHLAND, 22. März 2007
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