» Die Nacht singt ihre Lieder RALF SCHENK über das Wechselspiel von Düsternis
und Hoffnung in den Filmen des Fred Kelemen Auch die anderen drei Arbeiten des Regisseurs kreisen um Einsamkeit und Erniedrigungen, Ausbruchsversuche und jene seelischen Qualen, die sich die Helden oftmals selbst zufügen. Bereits die Titel "Frost" (1997), "Abendland" (1999) oder "Glut" (2005) verweisen auf den Charakter der Filme als Nachtstücke. Auf die Frage, warum er so viel Elend vorführe, hatte Kelemen schon vor Jahren geantwortet, seine Filme seien nicht elender als unsere Realität und zeigten, "in welcher Umgebung wir uns bewegen und durch welche Welten wir unseren Weg gehen". Tatsächlich sind sie eine verdichtete Leidenserfahrung, voller Trauer über die Unfähigkeit zum Glücklichsein. Für den Regisseur geht dies einher mit einer Abwendung der Menschen von ihren geografischen und spirituellen Wurzeln. Das russische Paar in "Verhängnis" sieht sich in Berlin gestrandet; die junge Frau in "Frost" findet keine Spuren ihrer ostdeutschen Heimat mehr. Nun erweisen sich ihre Aufbrüche als Bewegungen im Kreis: Das Ende ist der Anfang ist das Ende. Kelemens Filme, die seit Mitte der 1990er-Jahre wie erratische Blöcke in der deutschen Kinolandschaft stehen, sind hierzulande nicht sehr bekannt. Anders im Ausland, wo sie von Festival zu Festival gereicht und mitunter sogar als "einzigartige visionäre Leistung" (Susan Sontag) gerühmt worden sind. Kelemens Bilder wollen nichts erklären und beweisen, sondern schaffen Raum für die Assoziationen der Zuschauer. In "Glut" beispielsweise tritt zunächst ein mit Selbstmördern befasster Polizeiinspektor auf, der in einem langen Monolog darüber reflektiert, dass sich die Menschen immer erst dann um den anderen kümmerten, wenn es zu spät sei: "Wir haben uns verirrt. Etwas in uns ist zerrissen." Ein paar Szenen später beobachtet die Kamera spielende Kinder am Flussufer. Der Blick verweilt lange in dieser Totalen und lenkt die Gedanken geradezu in die mögliche Zukunft dieser Kinder: Werden sie so enden wie jene junge Frau, die sich in der Nacht zuvor von der Brücke gestürzt hatte? Gehören auch sie zu denjenigen, die von ihrem "Schöpfer verlassen wurden und jetzt zugrunde gehen in einer Welt ohne Gnade"? Auch der über dreistündige Film "Frost",
dem ein Kritiker die "Offenbarung von Schönheit und Wärme
inmitten der polaren Trostlosigkeit" bescheinigte, enthält immer
wieder solche Korrespondenzen von visueller Kontinuität und gleichzeitigem
gedanklichen Abschweifen. Unvergesslich bleibt der Moment, in dem sich
die gedemütigte Frau auf einem Kettenkarussell dreht und plötzlich
ein Gefühl von Freiheit und Weite entsteht. Dass die Kamera uns ein
ununterbrochenes minutenlanges Mitfliegen gönnt, gehört zu jenen
Partikeln des Prinzips Hoffnung, die in Kelemens Filmen trotz aller Düsternis
immer wieder aufscheinen. Ralf Schenk, Berliner Zeitung, 22.03.2007 |