» Ziellose Wanderer
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„Es gibt keine Wege, nur den, der geht“: Die Filme des Regisseurs Fred Kelemen in einer Werkschau des Filmmuseums
Oft sind sie bildschön. Aber leichte Kost sind die Filme von Fred Kelemen nicht. Im 2005 entstandenen „Glut“ geht der glücklose Matiss, ein melancholischer junger Mann, der seine Tage in einem Rigaer Archiv fristet, bereits ganz zu Anfang in die Knie. Er hat den Selbstmord einer jungen Frau nicht verhindern können. Oder wollen? Als ihm die Konsequenz seiner Handlungslosigkeit bewusst wird, gleitet er am Brückengeländer, über das die Frau sich eben in den vermeintlichen Tod gestürzt hat, nach unten. Ratlos, als wolle er angesichts einer Welt, in der eine Winzigkeit sich unverhofft zu einer Tragödie auswachsen kann, nie wieder aufstehen.

Dass der Protagonist Matiss sich dennoch wieder erheben und weitere Fehler begehen wird, weil ihm sein Gewissen keine Ruhe lässt, ist bezeichnend für Kelemens Schaffen. Seine Figuren scheinen eingefangen in die bizarre Logik eines Schicksals, das sie nicht begreifen. So sind sie vielleicht Spielbälle, bringen sich aber auch immer wieder selbst ins Spiel: durch unerwartete Handlungen etwa, durch Gesprächsversuche und einen sturen Überlebenswillen, der sie nicht anhalten lässt. Matiss wird sich also vom Brückengeländer erheben und nach einer odysseehaften Suche nach der Wahrheit über die Selbstmörderin kurz vor Filmende nochmals in die Knie zu sinken. Und dann wieder aufstehen.

So sind Kelemens Filme nur scheinbar ausweglos. Gewiss: Verzweiflung, Brutalität, Hoffnungslosigkeit sind aufs Finsterste gegenwärtig. „Ich bewundere alle, die sich noch nicht umgebracht haben“, sagt der Polizist, der den Selbstmord der jungen Frau untersuchen soll. Der Mensch wird in all seiner Schwäche, Verletzlichkeit und Ahnungslosigkeit gezeigt. Und er ist einsam. Schon die Tonkulisse macht das deutlich: In Kelemens Filmen gibt es für die Protagonisten keinen tröstenden Beistand von musikalischer Untermalung. Sie sind allein mit sich und der Geräuschkulisse, die die Szene vorgibt, stumme Zeugen von Vogelgezwitscher, Wasserplätschern, Radiomusik. Was sie dem Geschehen entnehmen, bleibt dem Zuschauer verborgen. Das haben wir mit den Figuren gemeinsam: Auch wir bleiben Zeugen, die wenig verstehen, von dem, was sie sehen.

Gesprochen wird insgesamt wenig, und meist mehr „voreinander“, als miteinander. Oft wandern Kelemens Figuren ziellos durch Straßen und Landschaften, die so öde sind wie die Aussichten, in ihnen etwas zu finden, das den Weg gelohnt hätte. Aber sie wandern und suchen, hoffen. Worauf? „Es gibt keine Wege“, sagte Kelemen in einem Interview. „Es gibt nur den, der geht.“

Bekannt geworden ist der gebürtige Berliner, der neben Regie und Kamera auch Malerei und Philosophie studierte, mit seinem 1995 entstandenen Film „Verhängnis“. Auch „Verhängnis“, mit grobkörnigem Bildmaterial und einem Tonbett, das brüchig ist und wie nebenbei hereinweht, ist die Geschichte eines Wanderers. Diesmal ein Akkordeonist, der nicht viel hat und den Rest aufs Spiel setzt. Auch hier spielt Kelemen mit Schatten mehr als mit Licht, lockt uns, das Dunkle zu erkunden.

Mit der dreitägigen Werkschau „Magische Bilder“ lädt das Filmmuseum ab morgen ein, den Schatten dieses viel zu wenig bekannten Filmemachers nachzuspüren. Gezeigt werden neben „Verhängnis“ und „Glut“ auch „Abendland“ (1999) und „Frost“ (1997).

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Lena Schneider
Potsdamer Neueste Nachrichter, 21.März 2007