» DER KOMPROMISSLOSE l Text: Tobias Kessler
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Saarbrücken. "Interessante Orte der Verlorenheit" hat Fred Kelemen in Saarbrücken ausgemacht. Er ist zum ersten Mal während des Sommers hier, die Stadt im Winter kennt er des Ophüls-Festivals wegen. 1994 lief da sein Studentenfilm "Kalyi", 1995 sein Abschlussfilm "Verhängnis"; nun ist er hier als Gastprofessor der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK). Eine Werkschau mit Diskussionen im Kino Achteinhalb hat er hinter sich, mit "langen und substanziellen Gesprächen", die Arbeit mit seinen 14 Studenten noch vor sich. In diesem Monat bespricht er mit ihnen Grundsätzliches: "Was hat man zu sagen? Und wie sagt man es? Was sind filmische Mittel?" Im September wird gedreht, die sechs Kurzfilme sollen dann, so sein Wunsch, bei Ophüls 2014 laufen.

Aus der Schattenwelt

Man muss gespannt sein, denn Kelemen ist einer der großen Eigenwilligen des deutschen Kinos. Der Berliner, Jahrgang 1964, hat Regie und Kamera studiert (nach einem früherem Studium unter anderem von Musik, Philosophie und Malerei). Seine Filme, die er inszeniert und fotografiert - "Verhängnis" (1994), "Frost" (1998), "Abendland" (1999) und zuletzt "Krisana" (2005) - erzählen von den Schattenseiten, seine Figuren sind oft Leidende, es geht um Selbstmord, Endzeit, Verlust von Existenz, der Sehnsucht nach Liebe und dem Ringen darum. Kelemens Filme, die in oft langen Einstellungen ihre Geschichten erzählen, gewinnen internationale Festivalpreise, aber werden teilweise von der deutschen Kritik, vor allem aber von Filmförderern und Fernsehredakteuren nicht immer ganz verstanden und oft auf ihre Düsternis reduziert, so empfindet es Kelemen. "Manche Kritiken verschließen den Zugang zu meinen Filmen, da mit Klischees operiert wird." Die "Berliner Zeitung" begann ein Interview mit ihm mit der Frage "Warum so viel Elend?" Für Kelemen ist das "ein sehr deutscher Blick". Man müsse sich eher fragen, "warum so viel Elend um uns herum ist. Diese Aspekte muss man miterzählen." Zudem liege es ja "am Betrachter, ob er sich auf das Licht oder die Dunkelheit" in seinen Filmen konzentriere. Kelemens Kino meint es ernst und nimmt seine Figuren ernst. "Alles andere wäre zynisch, so wie Klischees zynisch sind."
Dass Kelemen im Ausland weit stärker beachtet wird als in seiner Heimat - gerade wurde er in die amerikanische "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" berufen - findet er "irritierend". Denn das wirke sich auch auf seine Produktionen aus - die Finanzierung seines Films "Abendland" dauerte drei Jahre, die deutsche Filmförderung hatte wenig Interesse. Für Kelemen ein Symptom. Er sei kein Dogmatiger und für filmische Vielfalt. "Aber es findet seit einiger Zeit eine große Schwächung und Verdrängung des nichtkommerziellen Films statt, die sehr schmerzlich ist". Das Kino müsse sich eine Avantgarde leisten, auch wenn die kurzfristig keine finanziellen Gewinne erwirtschaftet. "Eine Kunst ohne Avantgarde stirbt." Die Filmförderung fixiere sich aufs Ökonomische, "es gibt immer viel Geld für die gleiche Art von Filmen". Es fehle am politischen Willen, einen anderen Diskurs über das Kino zu führen.
"Die Förderung aus dominant ökonomischer Sicht ist fatal, aber typisch für unsere Zeit und leider symptomatisch für eine geistige Haltung." Ebenso wie der Hang auch der Medien, ein "Publikum gering zu schätzen, weil es kein Massenpublikum ist - das ist eine Form von Zynismus, es ist verächtlich". Gerade das Publikum von Nicht-Mainstream-Kino müsse man ernst nehmen, denn dort passiere Innovatives, Avantgardistisches, was langfristig das Kino befeuere und lebendig halte. "Sonst wäre die Filmsprache komplett festgeschrieben." Und er ist sich sicher: "Die Offenheit der Zuschauer ist viel größer als ihnen unterstellt wird" Kelemens Filme gibt es bisher nicht auf DVD, er ist kein Freund der digitalen Umsetzung von Kino. "Meine Filme gibt es als 16- und 35-Millimeter-Kopien, und als solche sollen sie laufen." Die Arbeit mit Digitalkameras, die Abkehr vom Zelluloiud ist für Kelemen "ein Verlust der Sehweise und des Handwerks. Ein Verlust des Lichts, und damit der Schatten und der Dunkelheit". Den bemerke er auch seit einiger Zeit bei seiner Lehrtätigkeit an Filmhochschulen: Man verlasse sich zu sehr auf die Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung, Fehler zu kaschieren oder erst dann Entscheidungen zu treffen. Das führe zu "ungenauem Arbeiten beim Dreh" , zum "Verlust des Schauens vor Ort, der Imagination.
Ich sehe immer mehr designte Bilder - immer weniger photographierte." Auch 3D schätzt Kelemen nicht, für ihn "keine notwendige Entwicklung, eher eine Jahrmarktsattraktion. Es fügt der Filmkunst keine filmische Qualität hinzu". Das Kino solle ja nicht die Illusion bieten, Realität zu sein. "Betrachtet man ein Ölgemälde, weiß man ja auch, dass das ein Ölgemälde ist."
Preisgekrönt ist Kelemen auch als Kameramann, in den jüngst zurückliegenden Jahren für seine Bildgestaltung der Filme des ungarischen Regisseurs und wohl Geistesverwandten Béla Tarr - zuletzt bei "Das Turiner Pferd", den Kelemen in 30 langen schwarzweißen Einstellungen gestaltete. Diese Kamerakunst für andere Filmemacher "ist keine entfremdete Arbeit", sagt Kelemen, sondern "eine gemeinsame Reise in dieselbe Richtung. Dabei ist jeder Film Teil meines künstlerischen Weges". Diese Reise hat ihm gerade den Innovationspreis der deutschen Filmkritik eingebracht, für "herausragende Bildgestaltung und sein künstlerisches Gesamtwerk". Das Kriterium "Kompromisslosigkeit" hätte auch gut gepasst.
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Tobias Kessler, Saarbrücker Zeitung, 16. Juli 2013