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Entgegen der Fernsehästhetik

Auf den nationalen Traditionen zu beharren, ist nicht gleichbedeutend mit Nationalismus
– meint der Regisseur Fred Kelemen

 

Von Gábor Tölgyesi

In London wurde „The Man from London ”, der neueste Film von Béla Tarr, vorgestellt. „Eine kinematographische Choreographie”, schrieb Time Out über das Werk. „Überwältigend sonderbare Bilder”, schwärmte The Guardian. Sight and Sound, ein Periodikum des Britischen Filminstituts, kürte „The Man from London ” nach der Premiere zum Film des Monats. In den Kritiken wurde die Arbeit von Fred Kelemen, dem Kameramann des Films, besonders hervorgehoben, die atemberaubenden Kompositionen und die film-noir-artige Virtuosität gewürdigt.

„In unserer Kunst gibt es viele Ähnlichkeiten. Ähnlich ist unser Blick, wir denken ähnlich über die grundlegenden Fragen, wir fällen ähnliche ästhetische Entscheidungen. Während der Dreharbeiten brauchten wir nicht viel zu besprechen oder zu erklären, es war eine wirklich angenehme Zusammenarbeit.“ So charakterisierte Fred Kelemen die Dreharbeiten des Films „The Man from London “ und antwortete auch auf die Anmerkung, seine Filme würden oft mit den Werken von Béla Tarr verglichen. Er war ein Student von ihm und ist eine verwandte Seele. Er ist nicht nur Kameramann von Spiel- und Dokumentarfilmen, sondern auch Regisseur; und zwar sehr geachtet in Deutschland.

Als Sohn ungarischer und deutscher Eltern wurde er in Berlin geboren. Nach dem Studium der Malerei, Musik, Philosophie, Religions- und Theaterwissenschaften absolvierte er 1994 die Deutsche Filmakademie. In dem Jahr wurde sein Film Verhängnis aufgeführt, der um die ganze Welt ging und 1995 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Eine Schwarz-Weiß-Ballade in einer verfallenden Vorstadt mit Kneipen, Besitzlosen und Aussichtslosigkeit.

„Nach dem Fall der Mauer kamen sehr viele Immigranten aus Osteuropa, vor allem aus Russland, Jugoslawien, Rumänien, und hofften auf eine bessere Zukunft. Auf die euphorischen Erwartungen des historischen Moments folgte bald die Depression, die erste Jugoslawienkrise, dann der Krieg in Tschetschenien. Die Grundidee des Films entstand an einem Nachmittag in einem Café, in dem Serben und Kroaten waren. Sie lebten ihr übliches Leben, sie lasen, tranken und spielten. In einer eigenen Welt. Doch wohin man auch schaut, man bewegt sich oft in fremden Welten, ist oft heimatlos und sucht seine Identität.“

„Höllenstudien“ – schrieb jemand über Ihre Filme.

„Doch ich bin kein Pessimist“ entgegnet mir der Regisseur. „Viele, die im Zusammenhang mit meinen Filmen über Pessimismus reden, sehen eigentlich selbst schwarz. Es gibt Helligkeit, und es gibt Dunkelheit. Von Zeit zu Zeit müssen wir entscheiden, wohin wir blicken. Wo es dunkel ist, sehen wir freilich nur die Finsternis. Ich mag die Menschen und halte es deshalb für wichtig, mit meinen Filmen über Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit zu reden und darüber, dass man sich bewahren soll.“

Vor einem Monat wurden in Kopenhagen die Europäischen Filmpreise verliehen. Die Europäische Filmakademie wurde seinerzeit von Ingmar Bergman und Wim Wenders gegründet, um in der europäischen Filmkunst gegenüber Hollywoods Übergewicht das Selbstgefühl zu wecken, ihren Charakter zu bewahren.

„Europa ist ein Konglomerat von Ländern mit verschiedenen Kulturen. Über den europäischen Film kann man aus finanzieller Sicht, im Hinblick auf Koproduktionen, reden. Von dem identitätslosen, oberflächlichen Europudding will ich aber nichts haben“, meint Fred Kelemen. „Die Stärke der europäischen Kinematographie könnte gerade ihre Heterogenität, die starke nationale Filmkunst der verschiedenen Länder, sein. Dazu müßte man auf den nationalen Traditionen bestehen, was nicht gleichbedeutend ist mit Nationalismus. Der deutsche Film hat 1933 sein Selbstbewusstsein verloren, und obwohl man nach 1945, vor allem in den sechziger, siebziger Jahren, zur Zeit des „Neuen deutschen Films“, versucht hat, neue künstlerische Aspekte des Films zu finden, wurde der Autorenfilm durch den kommerziellen Film verdrängt. Ich lehre an mehreren Filmakademien und nehme an vielen Festivals teil: es ist ein allgemeiner Trend, dass auf der Leinwand die Fernsehästhetik überhand genommen hat. Weniger junge Regisseure, suchen nach einer eigenen Filmsprache und greifen auf die nationalen Filmtraditionen zurück. Die Kinobilder, die eigenständigen Erzählungen verschwinden“, resümiert der Kameramann und Regisseur.

Ende vorigen Jahres zeigte das Nationale Filmtheater Urania eine Retrospektive der Filme von Fred Kelemen. Verhängnis , Kalyi , Frost , Abendland und Krisana sind bedächtige Filme von bildkünstlerischem Wert. Keine schablonenhaften Geschichten mit aus dem Fernsehen wohlbekannten Bildern, Wendungen und Situationen. Sie verlangen Zeit und Mitdenken vom Zuschauer.



Gábor Tölgyesi, Magyar Nemzet, 6. Januar 2009