» Stuttgarter Zeitung | Text: Thomas Rothschild | 21.2.2005
.......................................................................................................................................

Tod durch (Nicht-)Einmischung
Fred Kelemens "Krisana" beim Internationalen Forum des jungen Films in Berlin


Es ist Nacht. Ein Mann steigt eine Treppe hoch zu einer Brücke. Er sieht eine Frau am Brückengeländer, geht vorbei. Er hört, wie die Frau ins Wasser springt und um Hilfe schreit. Danach ist sie verschwunden. In einer Bar nahe der Brücke findet der Mann die Handtasche der Frau und drei Briefe an einen Geliebten, den sie von jeder Schuld freispricht. Der Mann findet den Geliebten, macht ihm, halb betrunken, Vorwürfe und fordert ihn zur Reue auf. Der Geliebte geht in die Toilette und erschießt sich. Kurz darauf trifft der Mann zufällig die Frau, die er tot wähnte. Er entschuldigt sich bei ihr. Sie geht, ohne ein Wort, daheim erwartet von ihrem Mann und ihrem Kind, die sie wegen des Geliebten verlassen hatte.
So hintergründig und vielschichtig diese Geschichte ist, so ironisch oder auch fatalistisch ihre Botschaft scheint, wonach alles falsch ist - Heraushalten ebenso wie Einmischung -, so einfach ist sie strukturiert. Was aber den Film "Krisana", der mal mit dem deutschen Titel "Glut", mal mit "Fallen" annociert wird, zu einem Höhepunkt des Internationalen Forums des jungen Films in diesem Jahr macht, sind die Bildsprache und der Rhythmus. Wie schon in seinen früheren Filmen arbeitet Fred Kelemen mit extrem langen Einstellungen. Schwarzweiß ist hier nicht mehr, wie vor der Erfindung des Farbfilms, ein Mangel, sondern, im Gegenteil, gegenüber der Beliebigkeit von Buntfilmen eine ästhetische Entscheidung für die Ausdruckskraft von Grauwerten. Anstelle eines penetranten Musikteppichs erzeugen hier Endlosschleifen von Geräuschen - Vogelgeschrei, Kinderlärm, Hundegebell, ein vorbeifahrender Zug - jeweils über eine Sequenz hinweg intensive Stimmungen.
Während der Berlinale gastierten Alvis Hermanis und sein Ensemble aus Riga im Berliner Hebbeltheater. Der auffälligste Bühnentrick von Hermanis ist die konsequente Verlangsamung aller Bewegungen. Auch Kelemen, der seinen neuen Film in Riga gedreht hat, setzt seit je auf das Prinzip Langsamkeit und befindet sich damit in einer zwar ehrwürdigen cineastischen Tradition, die von Bresson und Fassbinder bis zu Tarkowski und Sokurov reicht, aber auch in Opposition zum herrschenden Trend der sinnlosen Beschleunigung. Seine Bilder laden zur kontemplativen Betrachtung ein und gewinnen gerade dadurch eine philosophisch-literarische Qualität. "Krisana" erinnert, sei es vom Autor gewollt, sei es durch Koinzidenz, an die Romane von Dostojewski und an Puschkins "Eugen Onegin". Die russische Sprache spielt auch unmittelbar eine Rolle: Dem Geliebten schreibt die lettische Frau auf Russisch, mit ihm spricht die lettische Hauptfigur Russisch - ein Effekt freilich, der durch die Untertitelung nicht vermittelt werden kann und bei einer Synchronisation ganz verloren ginge.
In der Diskussion nach der Vorführung von "Krisana" empörte sich eine Frau, dass dieser Film nicht für den Wettbewerb ausgewählt worden war. Der Moderator Ulrich Gregor erwiderte, früher (als er selbst noch Leiter des Forums war) hätte er entgegnet, dass solch ein Film gerade ins Forum gehöre. Recht hat er. Das Forum mag weniger Publizität haben als der Wettbewerb, minderwertig ist es nicht. Und wenn man sich bei uns über den Publikumserfolg deutscher Produktionen freut, welche die pessimistischen Prognosen der neunziger Jahre zu widerlegen scheinen, dann sollte man neben den Knüllern die sperrigeren Filme nicht übersehen, auch wenn sie eher bedrücken als erheitern. Wir amüsieren uns zwar nicht zu Tode. Und wir müssen nicht unbedingt zwischen Klamauk und Tiefsinn wählen. Aber etwas mehr als die Wochenendshows im Fernsehen darf das Kino dem Zuschauer schon abverlangen.
Kelemen tut das. Übrigens: mit weniger Geld dürfte schon lange kein deutscher Film mehr produziert worden sein. Wenn sonst nichts, dann müsste doch dies überzeugen.

.......................................................................................................................................