» Glut | Text: Frank Brenner | SCHNITT, Nr. 40, 13. Oktober 2005
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Krišana. D/LV 2005. R,B,K,S: Fred Kelemen. K: Baiba Lagzdina. S: Franka Pohl, Klaus Charbonnier. M: Ramachandra Bocar. P: Kino Kombat, Screen Vision. D: Egons Dombrovskis, Nikolaj Korobov, Vigo Roga, Aija Dzerve, Gundars Silakaktins, Andris Keišs u.a. 90 Min. Basis ab 13.10.05


Der Archivar Fred Kelemen, der als Sohn einer ungarischen Mutter und eines deutschen Vaters in Westberlin aufgewachsen ist, besticht seit Jahren durch seine klugen, aber meist spröden und nicht leicht zugänglichen Filme ("Verhängnis", "Frost", "Abendland"), die sich trotz ihrer häufig gewaltigen Überlänge zu Festivallieblingen entwickelt haben und stets Garanten für wichtige internationale Filmpreise waren. Kelemens neuester Film ist nun wieder erstaunlich kurz ausgefallen, dafür läßt er sich einmal mehr alle Zeit der Welt, um seine kleine, wohldurchdachte und virtuos komponierte Geschichte zu erzählen.
Matiss begegnet eines Nachts auf einer Brücke in Riga einer jungen Frau, die gerade im Begriff ist, sich mit einem Sprung in die Tiefe das Leben zu nehmen. Der Archivar reagiert jedoch nicht auf die eindeutige Situation und verständigt erst die Polizei, als es schon zu spät ist. Obwohl sich die Leiche der Frau nicht findet, ist Matiss nun besessen, Genaueres über die Selbstmörderin zu erfahren. Auf eigene Faust begibt er sich auf Spurensuche.
Man muß sich zunächst an den eigenwillig ruhigen Erzählfluß gewöhnen, der oft minutenlang in einer einzigen Einstellung verharrt, dialogfrei bleibt und den Zuschauer zusammen mit dem investigierenden Archivar zum Beobachten einlädt. Daß momentan auch bei größeren Produktionen eine Tendenz zum zurückgenommenen Inszenierungsstil und zu einer überaus gemächlichen Erzählweise auszumachen ist, wird sicherlich auch dieser kleinen deutsch-lettischen Koproduktion zugute kommen. Wenn Kelemen inszenatorische Effekte einsetzt, sind diese äußerst klug gewählt und fügen sich unaufdringlich in sein ruhiges Gesamtbild ein.
Die aufwendigste Kameraarbeit und eine der wenigen Kamerafahrten des Films überhaupt, hat Kelemen beim Zusammentreffen des Archivars Matiss mit dem Freund der Selbstmörderin eingesetzt. Während der Unterhaltung der beiden Männer kreist die Kamera ununterbrochen um den Tisch der Kneipe, an dem diese sitzen, und fängt stets im rechten Moment das jeweilige Gesicht ein - sei es, um die Aussage des einen oder die Reaktion des anderen im Bild festzuhalten. "Glut" ist durchweg vor allem in visueller Hinsicht perfekt gestaltet, und wenn Kelemen mit dem ersten bewußten Blick seiner Protagonisten und dem letzten gesprochenen Satz eine Klammer um seine Erzählung legt, wird einem die gestalterische Meisterleistung umso deutlicher vor Augen geführt. Wer die Konzentration und die Aufgeschlossenheit mitbringt, sich von einem wortkargen und dennoch aussagekräftigen Film verzaubern zu lassen, dem sei "Glut" mit Nachdruck ans Herz gelegt.
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