Dunkles Leuchten | Astrid Schwabe, Neues Deutschland, 8.April 2011
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Am kommenden Sonnabend (9. April, 20 Uhr) wird im Kino Krokodil im Rahmen der Werkschau »Die Rückseite der Sonne – Filme von Fred Kelemen« dessen Film
»Glut« (2005) aufgeführt. Dieser in Riga gedrehte Schwarz-Weiß-Film erzählt von dem Archivar Matiss, der eines Abends auf einer Brücke einer jungen Frau
begegnet, die kurz davor ist, ihrem Leben durch einen Sprung in die Tiefe ein Ende zu setzen. Matiss und die schöne Unbekannte blicken sich einen Moment lang
an. Dann geht er nach einem Zögern weiter. Als er kurz darauf ihren Schrei hört, läuft er zurück. Doch die Frau ist verschwunden. Matiss ruft die Polizei.
Getrieben von Schuldgefühlen versucht er, auf einer tage- und nächtelangen Suche, ihrem Leben auf die Spur zu kommen.
Dabei verfängt er sich immer mehr in den Schicksalsfäden der unbekannten Frau und im Dickicht der Unruhe seines Gewissens, wobei das Gefühl der subtilen
Schuld, im entscheidenden Moment nicht beschützend gehandelt zu haben, der Obsession weicht, er hätte gerade diese unbekannte Selbstmörderin lieben und dadurch
bewahren können, wäre er ihr eher in ihrem Leben begegnet. Von dieser Illusion weiter in den Abgrund seiner Einsamkeit getrieben, wird seine Suche nach den
Fragmenten der Biografie der Unbekannten auch zu einer Suche nach Erlösung aus der Dunkelheit der unklärbaren Unheimlichkeit menschlicher Existenz schlechthin.
Er möchte für sein – und unser aller – fragwürdiges, nur bruchstückhaft, lediglich »wie in einem dunklen Spiegel« (Paulus, 1. Brief a. d. Korinther, 13)
erfassbares Hiersein die alles erhellende Antwort finden, die jede Suche zum Ende kommen lässt.
Was diese Geschichte von Schuld, Verzweiflung, Illusion und Sehnsucht nach Vergebung und Erkenntnis zu einem außergewöhnlich eindrucksvollen Film, zu
einem erschütternden Erlebnis macht, ist die filmische Erzählweise. Die seelische Krise des Helden wird nicht mit Worten erklärt, sondern wird emotional
erfassbar aus den intensiven, unverbrauchten, komplexen Bildern. Wenn etwa Matiss mit dem Liebhaber der Frau, der in ihren Selbstmord verwickelt ist, in einer
Bar an einem Tisch sitzt, dessen schuldvolle Beichte anhört und ihn durch Fragen immer tiefer in sein Schuldgefühl hineintreibt, kreist die Kamera langsam um
die beiden Männer, wobei sie ihnen immer näher kommt. Sie zieht eine »Spiralbewegung um den Tisch, als würde sich langsam die Schlinge des Schicksals zuziehen«
(Fred Kelemen). Diese Kamerabewegung lässt eine große geistige Spannung entstehen und vereinigt die beiden Männer in ihrer – unterschiedlichen – Schuldhaftigkeit
gegenüber der Frau. Dabei hat dieses Bild nichts Konstruiertes, Ausgedachtes, Artifizielles, sondern entfaltet sich in natürlicher Folgerichtigkeit und strahlt
eine große plastische Schönheit und gedankliche Komplexität aus.
Fred Kelemens filmische Erzählweise gibt der Geschichte von Matiss, seinem Durchleben von Versagen, Schuld, Einsamkeit und seiner Sehnsucht nach
Befreiung und Erlösung durch Liebe eine große Tiefe und Magie. Es ist eine universale menschliche Geschichte, in der befreiende Vergebung und Erlösung als
Möglichkeit existieren. Voraussetzung dafür ist das schmerzliche Wagnis des unverhüllten Blicks in die Wirklichkeit hinter dem Vorhang der Illusionen unserer
Welt.
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