» Neues Deutschland | Text: Astrid Schwabe | 11.09.2010
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DIE RÜCKSEITE DER SONNE

Das Kino Krokodil präsentiert Werkschau des Regisseurs, Autors und Kameramanns Fred Kelemen


Im Film »Verhängnis« von Fred Kelemen, mit dem heute im Kino Krokodil die Werkschau »Die Rückseite der Sonne - Filme von Fred Kelemen« eröffnet wird, gibt es keine Sonne, denn dieser Film spielt in der Nacht. Und trotzdem ist dieser Titel nicht nur ein wunderschönes Absurdum, sondern vor allem - wie für alle Filme Kelemens - auch für diesen Film zutreffend. Denn die Sonne ist immer da, auch wenn bei uns Nacht ist und wir sie nicht wahrnehmen. Und ihre Rückseite, die es ja eigentlich gar nicht gibt, ist überall - also auch im Berlin der 90er Jahre, wo wir in einer Nacht schicksalhafte Erfahrungen eines russischen Paares und anderer Einsamer, Unbehauster, Fremdlinge miterleben.

Fred Kelemen hat mit seinem ersten langen Spielfilm, den er noch an der Filmhochschule drehte, die Hauptrichtung seiner filmischen Arbeit bereits deutlich ausgedrückt: tiefgründiges Interesse am einzelnen Menschen, Leidenschaft für das Geheimnis des filmischen Bildes und für das Sichtbarmachen der vergehenden Zeit im Filmbild. In »Verhängnis« sprechen die Bilder auf ihre eigene Art: Obwohl scheinbar dunkel, leuchten sie gewissermaßen von innen heraus, bekommen eine immense Strahlkraft. Wenn wir zum Beispiel die Verzweiflung des russischen Harmonikaspielers über die Demütigung miterleben, die er eben von einem anderen Unglücklichen hat hinnehmen müssen, treten wir gleichsam in das Bild ein. Es gewinnt für uns eine physische Realität, und ebenso spüren wir, dass in diesem Bild noch etwas anderes steckt als die eben erlebte konkrete Situation der Demütigung. Die moralischen und seelischen Verletzungen dieser Menschen, die als Fremdlinge am Rande der Gesellschaft leben, erfahren wir in ihrem tiefen Urgrund und mit großer Intensität. Sie vermögen uns zu erschüttern.

»Verhängnis« erregte bei seinem Erscheinen 1994 auf Anhieb Aufsehen und Bewunderung. Er erhielt den Preis der internationalen Filmkritik (FIPRESCI) auf dem Filmfestival von Toronto 1994, den Bundesfilmpreis 1995 und viele andere Preise. Susan Sontag nannte ihn in ihrem Aufsatz »The Decay of Cinema« (Der Niedergang des Kinos, The New York Times, 25. Februar 1996) als eines der wenigen Beispiele authentischer zeitgenössischer Filmkunst und sagte anlässlich einer Retrospektive Fred Kelemens im New Yorker »Anthology Film Archives« im Januar 2003: »Fred Kelemens ?Verhängnis? (ist) eine einzigartige visionäre Leistung. Ich bewundere diesen Film sehr.«

Die mit »Verhängnis« beginnende Werkschau führt anschaulich vor Augen, dass und wie Fred Kelemen mit seinen folgenden Filmen »Frost«, »Abendland« und »Glut« seine filmische Welt - jenseits aller modischen Trends - entwickelt, differenziert und bereichert hat.

Dem Geist der Filme Fred Kelemens entsprechend, ist die Werkschau auf ein ganzes Jahr angelegt. Von September 2010 bis August 2011 läuft in jedem Monat, an jedem zweiten Sonnabend im Kino Krokodil ein Film von ihm. Beginnend mit Oktober 2010, werden zudem an jedem zweiten Sonntag Filme gezeigt, für die Kelemen als Kameramann arbeitete. Genug Gelegenheit also, die Bekanntschaft mit den Filmen zu schließen, die Fred Kelemen, wie er einmal sagte, »von der Rückseite der Sonne her geschaffen« hat.
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