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Frankfurter Allgemeine Zeitung | 24.02.2001 | Text: Matthias Ehlert
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Gier unter Monitoren
Film, Nichttheater: Kelemen inszeniert O'Neill in der Volksbühne
Der Film ist heute erklärtes Vorbild vieler junger Theaterregisseure,
die mit Quentin Tarantino mehr anfangen können als mit Peter Stein.
Sie bewundern das ästhetische und emotionale Überwältigungspotential
des jüngeren Mediums, seine ungebrochene Kraft, Menschen in Geschichten
zu zwingen. An dieser Kraft würden sie gerne teilhaben, und so versuchen
sie, bestimmte Techniken des Films auf der Bühne zu kopieren. Das
geht meistens schief. Kein schlechtes Stück wird besser durch eine
schnelle, "filmische" Erzählweise, harte Schnitte oder
grelle Effekte. Auch die dem Film abgeschaute Ökonomie, die Figuren
so sprachdürftig wie möglich auszustatten und dafür die
Begleitmusik um so dräuender aufzudrehen, hat dem Theater keinen
nennenswerten künstlerischen Raumgewinn verschafft.
Am unheilvollsten aber sind die unzähligen selbstgedrehten Filmschnipsel,
die immer öfter in neueren Inszenierungen auftauchen, meist aufgenommen
von an der Kamera dilettierenden Schauspielern, deren verwackelte, grobkörnige
Ergebnisse dann stolz auf riesigen Bildschirmen präsentiert werden.
In diesem Moment gleicht das arme Theater endgültig einem hüpfenden
Zwerg.
Am Prater, der kleinen Spielstätte der Berliner
Volksbühne, probiert man seit Beginn dieser Spielzeit, Theater und
Film zu einem "Film-Theater besonderer Art" zu kreuzen. Die
bisherigen Ergebnisse dieser künstlichen Befruchtung waren wenig
einleuchtend. Nun hat sich erstmals ein originärer Filmregisseur
am Thema versucht: Fred Kelemen, der vorher noch nie fürs Theater
gearbeitet hat.
Seit seinem überragenden Debüt "Verhängnis" von
1995 ist Kelemen im deutschen Film zuständig für die ewigen
Nachtgestalten, zerfurcht von Schmerz, Depression, Hoffnungslosigkeit.
Das Stück, das er für den Prater gewählt hat, Eugene O'Neills
"Gier unter Ulmen" aus dem Jahre 1924, paßt in diese triste
Reihe. Es erzählt von einsamen, in ein tragisches Schicksal verstrickten
Menschen auf einer Farm in Neuengland, deren versteinerte Herzen nach
Liebe gieren.
Zwei Brüder sitzen stumpf vor einem Haus, hinter dessen Fenstern
es rot glüht, als warte dort ein ewiges Fegefeuer. Das Haus ist weit
und breit das einzige in der Gegend, ansonsten nur Steine, Kakteen und
ein bedrohlich pfeifender Wind. Hendrik Arnst, der grobe, ungefüge
Klotz Peter, und Fabian Hinrichs, der weiche und vergrübelte Eben,
warten auf ihren Vater. Er ist weggefahren, um sich eine neue Frau zu
suchen. Als der Vater wiederkommt, macht sich Peter auf den Weg nach Kalifornien,
um Gold zu finden, während Eben weiter darauf wartet, sein Erbe anzutreten.
Der Vater hat eine neue Frau mitgebracht, die junge und hübsche Abbie.
Die zierliche Kathrin Angerer leiht ihr eine von schwerer Jugend gestählte
Kraft. Nur wenn sie allein ist und zur traurigen Musik aus ihrem mitgebrachten
Gettoblaster versunken tanzt, erlaubt sie sich schwache Momente. Abbie
hängt als erstes ihre Wäsche auf, um ihr Territorium zu markieren,
um Haus und Farm in Besitz zu nehmen. Doch sie kann nur an ihr Ziel gelangen,
wenn sie dem Alten einen Sohn schenkt. Eben, der um sein Erbe fürchtet,
reißt die Wäsche wieder von der Leine. Hinterher muß
er erleben, wie sein Vater, den Winfried Wagner zwischen selbstgerechtem
Puritanismus und windelweicher Altersliebe schön schwanken läßt,
ihn geistig verstößt, während Abbie beginnt, ihm lange,
sehnsüchtige Blicke zuzuwerfen.
Immer mehr Szenen, vor allem die im Haus spielenden, werden inzwischen
auf einer von zwei großen Videowänden übertragen. Anfangs
ist nicht ganz klar, ob sie live aufgenommen werden, da immer, wenn die
Schauspieler auf der Leinwand zur Tür hinausgehen, sie auf der Bühne
wieder auftauchen. Ungefähr in der Mitte des Stücks beginnt
Kelemen, auf diese täuschende Synchronität zu verzichten. Jetzt
verdoppeln sich die Schauspieler. Abbie sitzt im Schaukelstuhl vor dem
Haus und schaut sich selbst auf der Leinwand zu, wie sie Eben beim Tanzen
verführt, wie sie sich auf einem Motorrad eng an ihn preßt,
wie sie später im Bett neben dem ungeliebten Alten liegt.
Und irgendwann ist dann die Bühne vollkommen menschenleer und nur
noch in schönes nachtblaues Licht getaucht. Das Geschehen spielt
sich jetzt ausschließlich auf den beiden Leinwänden ab. Auf
der linken sieht man, wie in der Dorfschenke der Alte die Geburt seines
vermeintlich jüngsten Sohnes feiert, auf der rechten, wie Abbie und
Eben schmerzvoll ihr Baby betrachten, wie sie damit ringen, die Wahrheit
zu beichten.
Das Theater ist nun völlig in Film übergegangen. In sensiblen
Nahaufnahmen fährt die Kamera über die Gesichter, begleitet
die Getriebenen durch das düstere Haus und wendet sich ab, wenn das
Unzeigbare geschieht. Um dem vom Vater verunsicherten Eben zu beweisen,
daß sie nur ihn liebt, bringt Abbie ihr Kind um. Der fassungslose
Eben will sie erst anzeigen, begreift dann aber den ungeheuerlichen, verrückten
Liebesbeweis und tötet Abbie, um sie von ihrer Schuld zu befreien.
Erst nach diesem gegenüber dem Original noch zugespitzten Ende kehren
die Schauspieler auf die Bühne zurück.
Auf raffinierte Weise hat Kelemen dem Theater vorgeführt, wie es
vom Film im Laufe der Zeit enteignet wurde, wie Figuren und Geschichten,
Kitsch und Melodram auf die Leinwand auswanderten und am Ende ein leeres,
ratloses Theater übrigblieb mit einer scheinbar grenzenlosen Freiheit,
mit der es nur wenig anzufangen weiß. Indem Kelemen auch auf der
Bühne konsequent ein Filmregisseur bleibt, unterläuft er auf
überzeugende Weise alle Versuche, die beiden Gattungen zu vermischen.
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MATTHIAS EHLERT
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