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Die Wüste liegt zwischen Männern und Frauen

Bundesfilmpreisträger Fred Kelemen debütiert im Volksbühnen-Prater als Theaterregisseur

Berlin ? Kakteen sind voller geheimer Möglichkeiten. Manchmal lässt sich in der Wüste lebensrettendes Wasser aus ihnen quetschen. Und der Donaldist hat bei Carl Barks gelernt, dass es kein besseres Versteck für geschmuggelte Fotoapparate gibt, als geheime Klapptüren hinter stacheliger Pflanzenhaut. Überraschend ereignet sich ein solcher Moment comic-hafter Bildlichkeit nach einer Stunde in Fred Kelemens Inszenierung „Desire“ (nach Eugene O'Neills „Desire Under the Elms“): Da klappt Eben (Fabian Hinrichs) den Deckel einer Kaktee auf und nimmt das Geld heraus, mit dem er seinen Bruder Peter (Hendrik Arnst) zum Verlassen der väterlichen Farm bewegen will. Ein hübscher Kontrast zu der Bedeutung, die das Geld als vermeintliches Mittel ihrer Emanzipation für die beiden hat und zum Gewese, das sie vorher um die Schatzkammer des Patriarchen (Winfried Wagner) gemacht haben. Aber es ist auch eine dieser seltsamen Inkohärenzen in der ersten Theaterarbeit des Bundesfilmpreisträgers Kelemen (1995 für „Verhängnis“). Ganz gewiss krankt sie dagegen nicht an ihren vermeintlichen Längen. Minutenlang lässt Kelemen die Brüder sich gleich zu Beginn anschweigen. Doch solche Dehnungen entsprechen sowohl dem aus dem Kino bekannten Geschmack des Regisseurs, als auch der Ordnung der O'Neillschen Kunst. Wer lebenslang auf etwas wartet, das wohl nie eintreten wird, der muss sich nicht beeilen, weder beim Reden noch beim Handeln. Kelemen hat „Desire“ verknappt und den Schluss noch mächtig vertrostlost. Er nimmt Ephraims Losung ernst, das Leben sei ein schwerer Traum Gottes, aus dem die Menschen nicht davonrennen könnten. Und wie die Steine auf seiner Farm (von deren Ulmen in Bert Neumanns für alle Prater-Inszenierungen vorgegebenem Wüstenbühnenbild nichts geblieben ist) den Pflug hemmen, so lähmt umfassende Angst die Personen. Doch die Langsamkeit hält sie auch im Gleichgewicht: Katastrophen ereignen sich hier immer, wenn einer etwas übereilt tut. Es beginnt mit der absurden Hochzeit des 70jährigen Ephraim mit der jungen Abbie (Kathrin Angerer) und endet mit Abbies Kindsmord, durch den sie Eben ihre Liebe beweisen will. Der ist für die Amour Fou mit der Stiefmutter gleich zwei Geliebten untreu geworden: Der Dorfhure trauert er dabei weniger nach, als dem Farmland, dessen staubigen Boden er gelegentlich penetriert und um das er sich von Abbie betrogen glaubt. Das Nebeneinander von zwei Videobildschirmen und dem Live-Spiel auf der Bühne entspricht bei Kelemen weniger modischen Theorien über die multirealen Daseinserfahrungen Welt im 21. Jahrhundert als vielmehr der ältesten Virtualität der Welt: Nämlich derjenigen der Kunst, bei der immer vieles zugleich anwesend ist, je nachdem wer sie wie anschaut. Doch im Verlauf der knapp drei Stunden zieht seine persönliche Gier Kelemen mehr und mehr zum Film: Man sieht kaum noch Theater, blickt lange auf die Leinwände wie in einem Kino mit besonders unbequemen Stühlen. Den Wunsch, Angerer und Hinrichs mit der Kamera ganz nahe zu kommen, kann man allerdings gut nachvollziehen: Sie beweisen, dass sie auch abseits volksbühnenbekannter Spielweisen traumhaft wandeln können. So hat schon einmal ein völlig anders gearteter Regisseur in der Volksbühne begonnen: Mit Inszenierungen, denen man noch anmerkte, dass es ihn immer zum Film zurückzog. Der Mann hieß Christoph Schlingensief und hat später keine kleine Bühnenkarriere gemacht. Bei Kelemen scheint das auch nicht ausgeschlossen.

 

Matthias Heine, Die Welt, 24. Februar. 2001


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