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Befremdliches Begehren

Live im Theater Fred Kelemens "Desire", die neue Produktion im Filmset des Prater der Berliner Volksbühne, setzt sich mit dem Verhältnis von Bühne zu Leinwand auseinander

Der Prater der Volksbühne hat in dieser Spielzeit ein eigenwilliges Konzept: Bert Neumann hat dort eine Bühne gebaut, die aus Versatzstücken eines Filmsets besteht, das in leichten Variationen Grundlage für fünf Inszenierungen sein soll zur Untersuchung des Verhältnisses von Film und Theater. Am Anfang gab es ein Stück Kakteenwüste samt Prospekt eines Canyons und einen Kamerawagen auf Schienen, später kam ein Holzhaus hinzu, während der Kamerawagen wieder verschwand. In diesem Westernfilmset wurden Stalker , Death Valley Junction und Frau unter Einfluss inszeniert. Diese Inszenierungen beriefen sich auf Filme und setzen Live-Aufnahmen des Bühnengeschehens, Ausschnitte aus Filmen oder mit den Schauspielern vorproduzierte Filmsequenzen ein und präsentierten diese parallel oder alternierend zum Bühnenablauf auf Leinwänden und Monitoren. Das ist bei der jüngsten Produktion, Fred Kelemens Desire nach dem psychologisch-realistischen Kammerspiel Desire under the Elms von Eugene O'Neill nicht anders. Aber der Regisseur, dessen Filme ( Frost ) durch affektgeladene Bildräume bestechen, befragt als Erster das Verhältnis zwischen Bühne, Leinwand, Schauspiel und Stück als problematisches.

Auf einer Leinwand im Hintergrund der Bühne fährt ein Traktor unter einem wolkenverhangenen Himmel über ein Feld. Auf der Bühne sitzen, in gelblich warmes Licht getaucht, der junge Eben (F. Hinrichs) und sein Stiefbruder Peter (H. Arnst) an der Seite des Holzhauses. Peter schwärmt vom goldenen Himmel im Westen, während auf der Leinwand weiter Acker und Wolkenhimmel zu sehen sind. Er will weg nach Kalifornien, anstatt sich weiter von seinem alten Vater ausbeuten zu lassen. In der Gleichzeitigkeit von Leinwandhimmel, warmem Bühnenlicht und Peters "goldenem Himmel" konkurrieren Bühne und Film um das richtige Bild.

Meist zeigt die Leinwand das, was die landschaftliche Umgebung der Farm sein könnte, die die beiden zusammen mit ihrem Vater Ephraim (W. Wagner) seit Jahren mühsam bewirtschaften, oder aber sie überträgt live Szenen von der Veranda an der für die Zuschauer schwer einsehbaren Längsseite des Hauses: keine Dopplung, eine Blickverschiebung. Eine zweite Leinwand ist auf dem Dach des Hauses montiert. Auf ihr ist zu sehen, was sich im Innern des Hauses abspielt, mal als Liveübertragung, mal als Aufzeichnung zuvor gefertigter Sequenzen.

Zunächst will sich auf der Bühne keine rechte Spannung einstellen. Unfreiwillig komisch wirkt die Einführung des zentralen Stückthemas, die Habgier der Protagonisten, wenn etwa

Eben in einer allegorischen Szene die Kakteenwüste begattet. Für solche drastische Darstellung eines Affekts scheint das Bühnenbild zu offen und auch selbstreflexiv und mit ihm das antipsychologische Schauspielkonzept der Volksbühne. Erst später, als Film aus dem Inneren des Hauses, wird aus der Konstellation von Ephraim und seinem Sohn Eben, ihrer Ähnlichkeit in der Gier nach Besitz und nach Abbie, der neuen Frau des Vaters, ein Drama. Spannung entsteht nämlich nicht zwischen den Figuren, sondern zwischen dem Geschehen auf den Leinwänden und dem auf der Bühne.

Wie die Männer ist auch Abbie (K. Angerer) besessen vom Besitzenwollen. So spielt sie die Männer gegeneinander aus: Ihrem Ehemann lügt sie vor, Eben habe mit ihr schlafen wollen. Zusammen mit Ephraim steht sie dabei auf der Veranda, sie lehnt im Türrahmen, er hat sich vor ihr aufgestellt. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln wird diese Szene zugleich live auf beide Leinwände übertragen, aber Abbie ist auf keiner von beiden zu sehen: Hier, zu Beginn ihrer Intrige, ist sie ein letztes Mal ausschließlich als "reale" Bühnenfigur sichtbar. Danach wird sie zum Bild des Begehrens der Anderen und hat dementsprechend ihre Auftritte auf der Leinwand.

In O'Neills Stück sind die Protagonisten Getriebene ihrer Gefühle und Affekte. Sie glauben immer das, was sie von ihrem Gegenüber hören, weil dieses Gegenüber die eigenen Gefühle spiegelt. Kelemen hat dieses wechselseitige Ineinanderspiegeln der Figuren O'Neills in die Spiegelung durch Filmbilder transformiert. Er aktualisiert das Stück, indem er das Begehren nicht mehr als Motivation der Figuren darstellen lässt, sondern es in den Modus der Leinwand überführt, bis es buchstäblich größer ist als die Figuren. Jetzt erst kann Eben mit Abbie schlafen, deren sexuelle Werbung er zuvor, auf der Bühne, kaum glaubhaft ablehnte. Das eigene Ebenbild als Filmbild vor Augen kann er ihr ein Kind machen, das offiziell Ephraims ist, und sie töten, nachdem sie das Kind getötet hat. Als Abbie schließlich live, in einer ihre Züge verzerrenden Großaufnahme von der Leinwand herunter zu Ephraim auf der Bühne spricht, der klein und armselig das übermenschlich große Bild seines Begehrens ansieht, entsteht für den Zuschauer schlagartig die unheimliche Beklemmung, die die eigenen, befremdlichen Wunschbilder auslösen können.

Mehr und mehr dominieren so im Verlauf der Inszenierung die Filmsequenzen, bis dahin, dass die Protagonisten in ein und derselben Szene auf der Leinwand wie im Traum agieren und zugleich als Bühnenfiguren abgespalten der Erscheinung ihrer Affekte beiwohnen. So bekommt zum Schluss die Bühne als Filmset einen ganz realistischen Zug: Sie wirkt wie der verlassene Ort der Produktion von Bildern, die - scheinbar als unsere eigenen - jetzt unsere Träume und Obsessionen bevölkern und kolonisieren.

 

Bernhard Groß, Freitag, 2. März 2001

 


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