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The Purple Rose of Texas

Für die Volksbühne hat Fred Kelemen das Personal aus Eugene O'Neills "Gier unter Ulmen" zu Kinohelden gemacht

Das Ende sieht fast wie der Anfang aus. Zwei Männer auf einer Bank, ein schäbiges Farmhaus im Rücken, dahinter gleich die Wüste. Zweieinhalb Stunden haben im Volksbühnenstudio auch die Zuschauer auf Bänken gesessen. Mit der gleichen Gier haben sie auf das Theater gewartet wie die Menschen in Eugene O'Neills "Desire under the Elms - Gier unter Ulmen" auf das bisschen Leben, das sie am Ende nicht bekommen. Denn Fred Kelemen, Regisseur des Abends, hat das Theater verweigert und stattdessen Filme gezeigt.

 

Damit ist er manchmal dem Stück ganz nahe gekommen. Seit letzten September experimentiert die Volksbühne mit einer Art Medienverbund aus Film und Theater. Nun kam erstmals ein Filmregisseur zum Zuge: Fred Kelemen - seit zwei preisgekrönten Filmen ein hoch gehandeltes Nachwuchstalent - mit einer ersten Theaterarbeit.

In Bert Neumanns Wüstenlandschaft steht jetzt ein kleines Farmhaus mit Schaukelstuhl und Veranda, ein karge Idylle. Der Blick nach innen ist bloß per Filmprojektion möglich. Es gibt zwei Leinwände, eine direkt am Haus, eine andere weit hinter der Szene. Dort herrscht allerdings brutalstes Wohnküchenelend, mit Schnaps, Masturbation und billigen Pin-ups überm Bett.

Wir sind mal wieder im Volksbühnen-Amerika, das wir schon aus "Endstation Sehnsucht" kennen: als Traum vom Westen, der natürlich ein Albtraum ist. Drei Männer und eine Farm. Jeder hasst jeden und will alles für sich allein. Die Farm, das Geld und die Frauen. Schon deshalb, weil es von allem zu wenig gibt. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein alter Mann heiratet zum dritten Mal, die junge Abbie will die Farm für sich, braucht dafür aber ein Kind vom Alten, das er aber nicht mehr zeugen kann. So verführt sie dessen erwachsenen Sohn Eben, und die Rechnung geht auf. Sie kriegt Kind und Farm. Bloß haben sich Abbie und Eben dann verliebt, was naturgemäß tragisch endet. Am Ende sind Abbie und das Baby tot.

Die kurze Geschichte wird von Kelemen in quälender Langsamkeit erzählt. Zunächst im Wechsel von Film und realen Szenen. Doch je tiefer sich die Figuren in ihr Unglück verstricken, desto stärker zieht sich die Handlung auf die Leinwand zurück. Zurück bleibt eine darstellerlose Bühne. Manchmal sitzt Abbie noch draußen auf dem Schaukelstuhl und starrt Schnaps trinkend vor sich hin, liegt der Alte betrunken im Sand. Auf der Leinwand sieht man Abbie für sich selbst strippen. Sieht, wie sie in einer Kneipe den Stiefsohn seiner Geliebten ausspannt. Sieht die Party, die der Alte zur Geburt des Kindes feiert, das er für seinen Sohn hält. Und sieht auch, wie Abbie erst ihr Kind erstickt und dann von Eben umgebracht wird.

Kelemen hat ein starkes Konzept, das leider nicht von starken Darstellern getragen wird. Winfried Wagner kann die erdrückende Figur des tyrannischen Vaters nicht füllen, dem er eher lächerliche Züge gibt. Fabian Hinrichs als Eben ist am schönsten, wenn er als männliches Sehnsuchtsobjekt irgendwo wie hingemalt steht oder liegt. Und Kathrin Angerers Abbie bleibt bloß ein Kathrin-Angerer-Abziehbild. Hendrik Anst als ältester Sohn hat noch die größte Authentizität, nur macht er sich schon nach der Hälfte des Stücks auf den Weg Richtung Westen. Als er wiederkommt, ist es zu spät.

ESTHER SLEVOGT, taz, 24.2.2001

 

 


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