» Synopsis
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Nun gibt es gewiss originellere Dinge, die man über ein Buch sagen kann, als dass es auch fünfzig Jahre nach seiner Veröffentlichung nichts an seiner Aktualität eingebüßt habe.
Aber wenn es doch so ist. Im Rahmen des Theaterformen-Festivals wird am Schaupielhaus Hannover derzeit eine Dramatisierung von Ray Bradburys »Fahrenheit 451« gezeigt. Regisseur Fred Kelemen hat den Text von ein paar Stellen angegilbter 50er-Jahre-SciFi-Folklore wie elektronischem Hund und Atomschlag befreit; was bleibt, sind drei Stunden dumpfe Düsterkeit, die zeigen, dass eine Diktatur ihren Zielen am nächsten ist, wenn sie ihre brutalen Machtmittel nur noch im Ausnahmefall einsetzen muss, weil die Menschen ihre Unterdrückung längst verinnerlicht haben und gegen sich selbst richten.
In seinem 1953 erstmals erschienenem Roman übersteigerte Bradbury den immer wieder aktuellen reaktionären Reflex, auf angeblich verwerfliche gesellschaftliche Entwicklungen mit dem Verbot der dafür angeblich verantwortlichen Bücher, Filme oder sonstigen Kulturgüter zu reagieren, indem er ein Staatswesen erdachte, das einfach allen Büchern, allen Ideen mit dem Flammenwerfer zu Leibe rückt und das entstehende Vakuum mit Massenunterhaltung und Psychopharmaka auffüllt. Während Bradburys Buch hauptsächlich als Bildungsroman funktioniert, in dem der Bücherverbrenner Guy Montag erst am System zweifelt und sich schließlich gegen dieses stellt, beeindruckt Kelemens Dramatisierung vor allem durch die unterschwellig aggressive, aber vor allem äußerst depressive Atmosphäre, in der das kulturlose Gemeinwesen dargestellt wird. Wo keine Ideen sind, ist auch keine Hoffnung.

Es wird recht wenig gesprochen in den drei Stunden, in Erinnerung bleibt vor allem ein eindrucksvolles, strenges Bühnenbild aus mehreren beweglichen Ebenen sowie eine ausgezeichnete Licht- und Musikregie. Auffälligstes Merkmal der Inszenierung ist aber die Vermischung der Spiel- mit Filmszenen, die – technisch wie dramaturgisch gleichermaßen ausgefeilt – immer wieder in Großprojektion eingeblendet werden.

Die niedersächsische Hauptstadtpresse lobt denn auch die technischen Aspekte der Inszenierung, hat sich ansonsten aber gelangweilt und wünscht sich: mehr Feuer. Vielleicht zu recht. Würde man einen Koeffizienten bestimmen, wieviel Handlung in welcher Zeit transportiert werden konnte, würde die Kelemen-Aufführung sicherlich nicht als besonders effizient durchgehen. Aber es geht ja wohl noch um etwas anderes: um die vollkommene Trostlosigkeit einer Gesellschaft, in der die Daily Soaps jede Kultur, jedes Denken abgelöst haben. Und um die Frage, ob es dazu wirklich der Gewalt bedarf, wie es sich Bradbury noch ausgemalt hat. In Bradburys »Fahrenheit 451« schließt sich Montag man Ende einer Gruppe an, die die verbotenen Bücher auswendig lernt und so am Leben hält. In Kelemens Inszenierung geht es nicht so sehr um die Rettung der Bücher, es geht um die Wiederherstellung der Fähigkeit, eigene Gedanken zu entwickeln und die Wahrnehmung zu erweitern. Es ist die Frage, ob diese Fähigkeit eher bedroht ist, wenn eine pervertierte Feuerwehr ausrückt, um mit den Flammenwerfer versteckte Bücher zu vernichten, oder wenn sich der denkende Mensch vor dem Fernsehtribunal von Richterin Barbara Salesch wiederfindet.
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Juni 2002


 

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